EIN "ZWISCHENRUF" VON DR. ERNST DIETER ROSSMANN : Ist das der neue „Bildungsturbo“?

22. April 2025 // Dr. Ernst Dieter Rossmann / Redaktion

Die Veröffentlichung „Bessere Bildung 2035“ der Wübben-Stiftung hat den zwd-Kolumnisten Dr. Ernst Dieter Rossmann zu einem „Zwischenruf“ mit kritischen Anmerkungen veranlasst. Er stellt kritische Fragen, unterstreicht aber auch, dass die von den maßgeblichen Verfasserinnen der Studie, den Bildungsministerinnen von Schleswiog-Holstein, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, Karin Prien (CDU), Dr.in Stefanie Hubig (SPD) und Theresa Schopper (Grüne) angestoßene Debatte insbesondere hinsichtlich eines einheitlichen Vorgehens von Ländern und Bund ein wünschenswerter Coup wäre.

Dr. Ernst Dieter Rossmann ist Kolumnist des zwd-POLITIKMAGAZINs
Dr. Ernst Dieter Rossmann ist Kolumnist des zwd-POLITIKMAGAZINs

Zur Erinnerung: Im Oktober 2008 gab es in Dresden den Nationalen Bildungsgipfel, mit dem die damalige Bundeskanzlerin zusammen mit den Ministerpräsidenten Deutschland zur „Bildungsrepublik“ machen wollte. Mit festen Verabredungen für mehr Geld, mit einem Kanon an abgestimmten Maßnahmen von der frühkindlichen Bildung an aufwärts und mit klaren Zielversprechungen, z.B. zur Halbierung der Zahl der Schulabbrecher bis 2015 und einer deutlichen Erhöhung der sozialen Durchlässigkeit des Bildungssystem. Seitdem hat es im Zusammenwirken von Bund, Ländern und Kommunen durchaus Bewegung gegeben wie z.B. mit der Rückabwicklung des unglückseligen Kooperationsverbots im Grundgesetz, Bund-Länder-Programmen für kommunale Bildungsinvestitionen, dem Ausbau der frühkindlichen Betreuung und Bildung und dem Rechtsanspruch auf Ganztagsgrundschulen, dem Startchancenprogramm und der Aufweichung des Königsteiner Schlüssels durch Sozialindikatoren. Auch die KMK hat sich verändert und eine Ständige Wissenschaftliche Kommission eingerichtet.

Ist da jetzt – 17 Jahre später - im Januar 2025 mit dem demonstrativen gemeinsamen Auftritt von drei Bildungsministerinnen der CDU, der SPD und von Bündis 90/ Die Grünen und ihrer Vorstellung einer von der Wübben-Stiftung beförderten Denkschrift „Bessere Bildung 2035 – gemeinsamer Einsatz für messbare Ziele“ ein neuer „Turbo“ gezündet worden? Anspruch und Ehrgeiz sind jedenfalls groß, wenn das Länder-Trio verkündet, dass sie „ eine Reihe von Zielen, Indikatoren und Maßnahmen vor(schlagen), die über Partei- und Landesgrenzen sowie über Legislaturperioden hinweg dazu beitragen sollen, dass Bildung in Deutschland besser wird.“ Dabei dürften die Ziele an sich mit Recht auf breite Zustimmung setzen:

1) Frühe Bildung ausbauen mit besserer Verzahnung von Elementarbereich und Grundschule, mit abgestimmten Förderketten und Evaluationskultur ,

2) Kompetenz- und Leistungsentwicklung und volle Ausschöpfung des Potentials bei allen Kindern,

3) Erreichbarkeit von Kompetenzen durch die Schule für gesellschaftliche Teilhabe für alle unabhängig von Herkunft im Sinne von „Chancengleichheit“ (Hubig) und „Chancengerechtigkeit“ (Prien),

4) Schule als Lern und Lebensort für eine gelingende Persönlichkeitsentwicklung.

Zur Kompetenz – und Leistungsent-wicklung sowie zu den Bildungschancen werden zudem 5 Indikatoren in Form von Prozentzahlen für das Jahr 2035 eingeführt, hinter die sich alle Länder ebenso freiwillig wie verbindlich wie überprüfbar stellen sollen. Das wäre dann schon ein Coup!

Soweit, so gut, mag der wohlmeinende Betrachter sagen, und kann doch zugleich eine gewisse Skepsis nicht unterdrücken, wenn dazu die konkrete politische Praxis z.B. in dem CDU–geführten Bildungsministerium in einem Bundesland wie Schleswig-Holstein angesehen wird, was dortige Blockaden für eine effektive frühe Förderung von Kindern im Elementarbereich angeht oder den Umgang mit multiprofessionellen Quereinsteigern. Wenn diese Skepsis jetzt durch eine starke KMK und neue gemeinsame Aufbruchstimmung mit einer Kooperationsbereitschaft in alle Richtungen, vom Bund bis zu den Kommunen, widerlegt wird, kann das nur begrüßt werden. Eine solche neue Kooperation wird auch bitter nötig sein.

Ohne den Bund ist eine im von der Wübben-Denkschrift leider konsequent ausgesparte finanzielle Stärkung des Bildungsbereichs nun einmal nicht erreichbar. Das Sondervermögen des Bundes für die Infrastruktur mit 100 Milliarden für die Länder und einer Öffnung von deren Haushalten um 0,35 % BIP Verschuldungsspielraumwerden hier nur erste Schritte sein können. Die Mobilisierung weiterer Bildungsressourcen muss dazu kommen - durch die Einführung einer auf Bildung ausgerichteten Vermögens- und Erbschaftssteuer für die Haushalte der Länder und ein neues und längst überfälliges Verständnis von Bildungsausgaben als Investitionen und nicht als Konsum. Allein mit guter Absicht und ohne zusätzliche Man- und Woman power aller Art werden die hoch gesteckten Indikatoren bis 2035 jedenfalls nur wohlfeil bleiben. Die 7 % am BIP für die Bildung aus Dresden 2007 gehören endlich wieder auf den Tisch.

Dies gilt umso mehr, damit sich die eigentliche Botschaft des Wübben-Reports, die kohärente Datenstrategie über eine datengestützte Entwicklungs- und Lernverlaufs-Diagnostik, kurz die Schüler-ID, nicht im Ungeklärten verläuft und damit wertvolle Energien von dringend notwendigen konkreten Reformschritten abzieht. „Ideal wäre eine Bildungs-ID für jedes Kind, die anonymisiert den Bildungsverlauf dokumentiert.“ (S. 128) Ja, was denn nun? „Dieser Satz im Implus-Papier wirft mindestens Fragen auf, wo denn die Balance zwischen Gesamtsteuerung, Kontrolle der Bildungsbiographie, der individuellen Förderung und dem Menschenrecht auf Datenschutz und Freiheit von Diskriminierung gefunden werden soll. Der Impuls ist gesetzt. Für Arbeit ist damit gesorgt, wenn daraus wirklich Gutes für die jungen Menschen und ihre Bildung werden soll.


Dr. Ernst Dieter Rossmann war langjähriger bildungspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und zuletzt (bis 2021) Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Bildung und Forschung

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